Leserbrief im Schwarzwälder Boten: Von welchem Gott sprechen wir?

Am 16. Februar 2024 erschien in der Lokalzeitung “Schwarzwälder Bote” ein Interview mit mir und über die von mir neu gegründete Selbsthilfegruppe in Sulz am Neckar - Fischingen.

In diesem Interview sagte ich zu der Frage, was wir in dieser Selbsthilfegruppe machten:

Bei ihren monatlichen Treffen redeten sie über Gott und die Welt, gäben sich Tipps, wenn es darum geht, Anträge für die Krankenkasse oder eine geschlechtsangleichende Operation zu stellen. „Wir sind wie ein großer Freundeskreis“, beschreibt Löhner die Atmosphäre.

Nun wurde in eben dieser Lokalzeitung ein Leserbrief abgedruckt, der folgenden Titel enthält:

Von welchem Gott reden wir?

Hier schreibt ein Herr Lothar Walter folgenden Text:

Unser Leser Lothar Walter fragt sich, von welchem Gott bei den Treffen der Fischinger Transgruppe gesprochen wird.

Ich habe von dieser „Transgruppe“ gelesen und habe da einige Fragen. Sie sagen, dass sie über Gott sprechen, da stellt sich für mich als gläubiger Mensch die Frage: Von welchem „ Gott“ redet diese Gruppe? Reden sie von ihrem „eigenen Gott“ oder von Gott, wie er in der Bibel steht?

In der Bibel steht ganz klar, wie sich Gott den Menschen darstellt, und zwar als Mann und Frau, und es war sehr gut. Da steht nichts von gedanklichen Irrungen. Gott macht keine Fehler. Er warnt sogar an vielen Stellen vor solchen falschen Gedanken.

Ich möchte es mir nicht nehmen lassen, auf diesen Leserbrief zu antworten.


Lieber Herr Walter,

Sie schrieben Ihren Leserbrief “als gläubiger Mensch”. Als gläubiger Mensch sollten Sie wissen, dass die Bibel in keinem Fall wortwörtlich genommen werden darf. Als gläubiger Mensch sollten Sie wissen, dass in der Bibel Dinge drin stehen, die man nur im übertragenen Sinne verstehen oder gar anwenden darf.

Wie sonst lassen sich Dinge erklären wie Jungfrauen die schwanger werden, sprechende Schlangen, Menschen die über das Wasser laufen können, Menschen die ganze Meere mit nur einer Handbewegung teilen können, brennende, sprechende Büsche, Steine die hören können und Zeuge sein können, Menschen die über 900 Jahre alt wurden, oder die Tatsache, dass Adam und Eva drei Söhne hatten, wir alle aber von dieser Familienkonstellation abstammen sollen.

In der Bibelstelle 1. Samuel 15,11 sagte Gott:

Es reut mich, dass ich Saul zum König gemacht habe; denn er hat sich hinter mir abgewandt und hat meine Worte nicht erfüllt. Und Samuel entbrannte und schrie zu der HERR die ganze Nacht.

Wenn Gott seine eigene Handlung bereuen kann, so war seine Handlung doch nicht fehlerfrei.

Anderes Beispiel: Am Ende vom Buch Richter gibt es Krieg zwischen Benjamin und den restlichen Stämmen (Israel). Die Israeliten befragen Gott, wer gegen Benjamin zuerst in den Krieg ziehen soll. Darauf antwortet Gott, dass Juda zuerst gehen soll. Die Israeliten halten sich an Gottes Befehl, fahren eine Niederlage ein, wobei 22.000 Männer aus Israel sterben. Dasselbe geschieht einen Tag später noch einmal und wieder müssen 18.000 Mann ihr Leben lassen. Warum führt der Rat Gottes zum Tod vieler Männer, die eigentlich Gottes Hilfe gesucht hatten? Wenn Gott doch keine Fehler macht? War es sein Wille, dass so viele hilfesuchenden Männer einfach so sterben sollten? Und wenn es sein Wille war, was für ein Gott ist das bitte?

In der Bibelstelle 5. Mose 24,16 sagte Gott:

Nicht sollen Väter getötet werden um der Kinder willen, und Kinder sollen nicht getötet werden um der Väter willen; sie sollen ein jeder für seine Sünde getötet werden.

Was für ein Gott ist das, der sich nicht einmal an seine eigenen 10 Gebote halten kann?

In der Bibelstelle 3. Mose 27,5 sagte Gott:

Und wenn es von fünf Jahren alt bis zu zwanzig Jahren alt ist, so sei deine Schätzung einer männlichen Person zwanzig Sekel, und einer weiblichen zehn Sekel;

Warum ist für Gott eine Frau nur halb so viel wert wie ein Mann? Was für ein Gott ist das? Ist es das, was Sie, Herr Walter glauben wollen und nachvollziehen wollen?

Ich könnte noch ewig so weiter machen. Die Bibel ist ein schönes Märchenbuch für leichtgläubige Menschen wie Sie, Herr Walter.

Aber reden wir doch einmal darüber dass Gott die Menschen als Mann und Frau erschaffen hat.

Sie haben recht, Herr Walter. Gott hat - sofern es ihn irgendwann einmal gegeben haben sollte, was ich bezweifle - alle Menschen als Mann und Frau erschaffen. Biologisch und Genetisch stimmt das ja auch. Da widerspreche ich Ihnen nicht.

Übrigens steht in der Bibel dazu:

Gott schuf den Menschen (Objekt, Einzahl) als Mann und Frau!

Diesen Satz dürfen Sie gerne wörtlich nehmen, lieber Herr Walter. Denn jeder Mensch ist nach der Zeugung grundsätzlich erst einmal intergeschlechtlich. Beide Möglichkeiten sind im Fötus angelegt und erst durch viele verschiedene Vorgänge, gesteuert durch Gene, Hormone und verschiedene Stoffwechselvorgänge entsteht eine Ausdifferenzierung - meistens. 

Geschlecht ist halt eben viel mehr als nur Biologie. Im Englischen gibt es die beiden Begriffe “Sex” und “Gender”. Sex ist das biologische, genetische Geschlecht und Gender ist das soziale Geschlecht. Im Deutschen haben wir leider nur einen Begriff für Beides.

Es ist inzwischen Wissenschaftlicher Konsens, dass Geschlecht ein Spektrum ist und sich eben nicht einfach so nur an Chromosomen und Genetik fest machen lässt.

Heute wissen wir, dass es ein körperliches und ein ge- oder bewusstes Geschlecht gibt. Wir sprechen hier von Gehirngeschlecht oder Geschlechtswissen. Dieses Gehirngeschlecht oder Geschlechtswissen, hat nichts mit gedanklichen Irrungen zu tun. Es ist real.

Bei Ihnen, lieber Herr Walter, scheint das Gehirngeschlecht mit ihrem biologischen Geschlecht übereinzustimmen. Gratulation. Das freut mich sehr für Sie.

Es gibt aber Menschen, bei denen das nicht so ist. Und wenn das Gehirngeschlecht nicht mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt, dann ist das ein tragischer Irrtum Gottes. Um es mit Ihren Worten und in Ihrem Glauben zu formulieren.

Was mit diesen Menschen geschieht, deren Gehirngeschlecht nicht mit ihrem biologischen Geschlecht übereinstimmt, ist hinlänglich bekannt. Ich kann es für Sie aber auch gerne noch einmal ausführen:

Durch diese Diskrepanz zwischen Körpergeschlecht und Gehirngeschlecht, entsteht ein immenser Leidensdruck, den sich nur die wenigsten Menschen vorstellen können.

So versuchen sich rund 20% aller transgeschlechtlichen Menschen umzubringen. 

Diese Diskrepanz erzeugt ein Trauma, das in den seltensten Fällen verarbeitet werden kann.

Menschen wie Sie, Herr Walter, mit Ihrem eingeschränkten, mittelalterlichen, von einem Märchenbuch gesteuerten Denken, sorgen dafür dass wir transgeschlechtlichen Menschen in der Öffentlichkeit um unser Leben fürchten müssen.

Ich hoffe für Sie, dass Sie das irgendwann verstehen werden.

Sie schrieben in Ihrem Leserbrief aber von “einigen Fragen”. Welche weiteren Fragen haben Sie denn dazu? Ich bin gerne bereit, alle Ihre Fragen ausführlich zu beantworten.

Gez. Christin Löhner

 

 

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