Die letzten 15 Monate seit meinem Coming Out

Hallo liebe_r Besucher_in,

heute möchte ich einmal erzählen, wie es mir in den letzten 15 Monaten (und ein Tag) ergangen ist, was sich alles verändert hat und welche Fortschritte und Erfolge ich verbuchen konnte. Außerdem gibt es sehr, sehr viele Leute, bei denen ich mich unbedingt einmal bedanken will und muss.

Am 16.10.2015, also heute genau vor 15 Monaten und einem Tag, habe ich mich, von einem Tag auf den anderen, überall geoutet, allen und jedem Bescheid gesagt und seit diesem Tag an, war ich niemals wieder in dieser vermaledeiten Verkleidung oder Rolle eines Kerls unterwegs. Seit diesem Tag an schminke ich mich, trage weibliche Kleidung und trainiere mein Verhalten und meine Stimme um dem Bild einer Frau möglichst nahe zu kommen und das ohne jede Ausnahme. Seit diesem Tag an wissen meine Eltern, meine Geschwister, meine sonstigen Verwandten und Bekannten sowie mein Arbeitgeber und meine Kollegen über mich Bescheid und haben mich seit dem nie wieder „als Mann“ gesehen.

Somit ist mein „Alltagstest“, der ja von vielen Krankenkassen verlangt wird und 12 Monate dauern soll, obwohl er keinerlei rechtliche Grundlage hat, seit dem 15.10.2016, also seit drei Monaten nun schon vorbei und „erfüllt“.

Man hört ja immer mal wieder Horrorgeschichten von anderen Trans*-Personen über deren Coming Out. Dies geht von Verweigerung des neuen Vornamens oder des richtigem Pronomens, bis hin zu Verbannung aus der Familie oder gar zu Morddrohungen. Glücklicherweise bin ich von all dem verschont geblieben und obgleich ich eine wahnsinnige Angst davor hatte mich vor allem meinen Eltern gegenüber zu outen, so war es doch schlussendlich die einfachste und schönste Sache der Welt.

Die Reaktion meiner Eltern auf mein Coming Out war einfach aber sehr ermutigend und machte mich überglücklich:

„Uns ist es völlig egal welches Geschlecht Du hast, Hauptsache Du bleibst uns erhalten.“

Im Juli 2016 nahm mich mein Vater auf die Seite und erzählte mir Folgendes:

„Deine Mutter und ich sind uns einig das Deine Entscheidung gut und richtig war. Denn vor Deinem Coming Out hatten wir immer den Eindruck von Dir als eine Person die eine Rolle von jemandem spielt, der versucht über den Dingen zu stehen. Dieser Eindruck ist seit dem vollständig verschwunden.“

Ich habe diese Aussage nie so ganz verstanden, verstand aber das es eigentlich nichts Schöneres hätte geben können, was er mir hätte sagen können. Ich werde diesen Satz von ihm niemals vergessen.

Im Büro, wo ich ja einen Tag vor meinem Coming Out meinen ersten Arbeitstag hatte, lief an diesem zweiten Arbeitstag, nämlich dem 16.10.2015 alles ganz normal weiter, als wäre es das Normalste der Welt das dort „ein Kerl in Frauenklamotten“ erschien. Ich war von Anfang an, ohne irritierende oder verständnislose Blicke, Frau Christin Löhner und hatte drei Tage später meine neue Email-Adresse mit weiblichem Vornamen.

Diese Tage machten mir ungeheuer Mut, sie machten mich stark und selbstbewusst. Ich war bis vor meinem Coming Out ein total introvertierter, zurückgezogener, stiller und ängstlicher Mensch ohne jedes Selbstbewusstsein. Durch diese Toleranz und vor allem Akzeptanz, diese tollen Reaktionen auf mein Coming Out von egal welcher Seite, machten mich stark und mutig und ich glaubte, das mir nichts anhaben könnte, nichts weh tun könnte.

Ich kam immer mehr aus mir heraus, wurde regelrecht extrovertiert, fing an auf Fremde zu zugehen und freute mich regelrecht darauf, mich öffentlich zu zeigen und zu präsentieren. Dies führte auch dazu, das ich extrem offen über dieses Thema sprechen konnte, ja meine ganze Lebensgeschichte völlig fremden Personen erzählen konnte und vor allem auch endlich über meine Gefühle reden konnte.

Und so kam es, das ich ganz automatisch von vielen anderen Transfrauen und auch Transmännern als Ansprechpartnerin, als Mentorin angenommen und in Beschlag genommen wurde. Ich half einigen auf den Weg, erklärte den Ablauf, die Anträge, die rechtlichen Vorgaben, ging mit ihnen shoppen, machte Mode- und Stilberatung sowie Make-up-Beratung und -Kurse. Das mache ich im Übrigen auch heute noch.

Anfang Januar 2016 startete ich dann damit, mir eine Psychotherapeutin zu suchen, die mich auf meinem Weg begleiten sollte. Wie Du weißt, sind von den Krankenkassen, bzw. dem MDK 18 Monate psychotherapeutische Begleittherapie vorgeschrieben, um eine Kostenübernahme für die abschließende GaOP zu bekommen.

Ich fand eine nette Therapeutin in Überlingen, die allerdings keinerlei Erfahrung mit der Thematik hatte, es aber gerne mit mir probieren wollte. Ich stimmte zu und stellte mich so zusagen als Lehrmittel zur Verfügung.

Nach drei Monaten, also insgesamt etwa 6 oder 7 Sitzungen eröffnete sie mir, das sie „die vollen 12 Monate“ warten möchte, bis sie mir die Indikation ausstellt, damit sie sich absolut sicher ist. Hierbei ist zu beachten, das diese 12 Monate nur eine empfohlene Leitlinie sind, die jeder Grundlage entbehrt und an die sich kein, wirklich kein Therapeut jemals gehalten hat.

Nun, ich habe 43 Jahre lang diese vermaledeite Rolle gespielt, war mir seid meiner Pubertät absolut im Klaren, was mit mir los war und wollte ganz sicher nicht noch einmal 9 oder mehr Monate warten, bis ich endlich, endlich mit den Hormonen anfangen durfte.

Und so beendete ich diese Therapie bei dieser Therapeutin und wandte mich an eine Therapeutin die mir oftmals und von vielen Seiten empfohlen wurde: Lisa Waelder-Vollmer in Konstanz. Ich bekam schon eine Woche später einen Termin und seit dem bin ich bei Lisa in Begleittherapie.

Am 23. Juni 2016 hatte ich dann endlich auch alle Untersuchungen bei meinem Endokrinologen durch und bekam von ihm das Rezept mit den beiden Präparaten für die Hormon-Ersatz-Therapie – Ich war so verdammt glücklich! Noch am selben Abend durfte ich die ersten Hübe Gynokadin-Gel auf meine Oberarme schmieren, was für ein tolles Gefühl!

Kurz vorher im April 2016 stellte ich den Antrag auf Vornamens- und Personenstandsänderung beim Amtsgericht Konstanz. Ich bekam zwei Gutachter zugeteilt, machte die entsprechenden Termine aus und ließ mich von ihnen psychisch analysieren und durchleuchten. Der letzte Gutachter-Termin fand dann Anfang Oktober 2016 statt und es dauerte dann noch einen Monat bis ich endlich die Anhörung vor Gericht hatte.

Am 07.11.2016 war es dann so weit. Ich sollte um 11:30 Uhr im Amtsgericht sein für die Anhörung zur VÄ/PÄ. Natürlich war ich deutlich früher da und so saß ich bereits um 11:05 Uhr vor dem Richterzimmer im Wartebereich und scrollte auf meinem Smartphone durch Facebook. Es dauerte keine drei Minuten, da öffnete sich die Tür vor mir und ein gut aussehender Mann fragte mich:

„Frau Löhner, haben Sie etwas dagegen, wenn wir schon früher beginnen?“

Ehm, lieber Herr Richter, wieso in drei Teu**** Namen sollte ich etwas dagegen haben? Also nickte ich dankend, lächelte, stand auf und folgte seiner einladenden Handbewegung. Ich fand einen großen Schreibtisch und hinter der Tür einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen. Der Richter lud mich galant ein, auf dem, der Tür am nächsten stehenden Stuhl Platz zu nehmen.

Also setzte ich mich brav hin, schlug die Beine übereinander und schaute erwartungsvoll. Nun endlich gab er mir die Hand und sagte:

„Herzlich Willkommen, Frau Löhner“

Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, vielleicht einen großen Gerichtsaal mit Schöffen, Anwälten und allem was dazu gehört. Nein, wir waren alleine und er setzte sich mir gegenüber an den Tisch.

Nachdem er mich ungefähr zehn Sekunden gemustert hatte begann er und sagte – ich versuche mich möglichst genau an den Wortlaut zu erinnern:

„Frau Löhner, warum Sie hier sind, wissen Sie sicher. Es geht um Ihre Vornamens- und Personenstandsänderung. Die beiden Gutachten um die wir Sie gebeten hatten sind bei uns eingetroffen und, um es kurz zu machen, sie sind beide positiv, wie Sie sich sicher hatten denken können.“

Hier schüttelte ich kaum merklich, schweigend und ungläubig schauend den Kopf. Dann fuhr er fort:

„Beide Gutachterinnen scheinen sich sehr sicher gewesen zu sein und wenn ich Sie so ansehe muss auch ich sagen: Mir gegenüber sitzt eindeutig eine hübsche Frau.“

…ich schluckte und versuchte zu Lächeln…

„Und so bleibt mir nichts Weiteres zu sagen, Frau Löhner, das Ihrem Antrag natürlich stattgegeben wird. Bitte lesen Sie sich den Beschluss aufmerksam durch und bestätigen Sie mit Ihrer Unterschrift, das alles korrekt ist.“

Ich nahm den Beschluss mit zitternden Händen, überflog ihn kurz, achtete dabei eigentlich nur auf die beiden Namen die ich in Zukunft tragen werden würde und kritzelte dann meine Unterschrift darunter. Auch er unterschrieb den Beschluss dann und sagte dann noch, das der vorläufige Beschluss heute noch zur Post geht und mir in den nächsten Tagen zugehen wird.

Ich fragte darauf hin, wann ich denn dann mit dem rechtsgültigen Beschluss rechnen dürfte und er sagte, das mir dieser in zwei bis drei Wochen dann zugehen wird. Ich war verblüfft, hörte man doch von anderen Trans*-Personen immer etwas von ewig langen, monatelangen Wartezeiten. Er stand dann auf, reichte mir die Hand und sagte:

„Ich gratuliere Ihnen, Frau Christin Löhner.“

Meine Augen glänzten und wenn ich nicht völlig überwältigt gewesen wäre, wäre ich dem Richter wohl um den Hals gefallen.

Was soll ich sagen, schon am 18.11.2016 hatte ich den rechtskräftigen Beschluss im Briefkasten – Ich war überglücklich. WIE glücklich ich tatsächlich war, kann man wohl sehr gut in diesem Video erkennen, das ich während der Fahrt vom Amtsgericht zurück zur Arbeit aufgenommen hatte.

Nun begann der Marathon des Änderns der ganzen Dokumente wie Personalausweis, Führerschein, Krankenkassenkarte, T-Mobile-Vertrag, ADAC-Karte, sämtliche Versicherungen und sonstige Stellen, wo es was zu ändern gab. Seit Ende Dezember 2016 bin ich aber auch damit durch und habe sämtliche Dokumente und Ausweispapiere mit dem neuen Namen und Geschlecht vorliegen.

Seit dem befinde ich mich in einem Zustand des Wartens. Denn um die Kostenzusage für die abschließenden GaOP bei der Krankenkasse beantragen zu können, müssen die 18 Monate Begleittherapie durch sein. Davon habe ich aber nun erst 9 Monate geschafft und weitere 9 Monate muss ich noch durchstehen, bis es endlich weiter geht. Aber ich habe viele Freunde und liebe Bekannten, die mich halten und unterstützen.

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich einigen Personen danken, die mich die ganze Zeit über unterstützt haben, mich gestützt haben, mir beigestanden sind oder mich stärker gemacht haben.

  • Meine Eltern, die immer zu mir standen, sowohl in meiner Kindheit, meiner Jugend und vor oder nach meinem Coming Out.
  • Meine Schwägerin Claudia, die mich in einer meiner schwersten Stunden meines Lebens gehalten hat und mich immer unterstützt hat und mir immer geholfen hat.
  • Meine Lebensgefährtin Michelle, ohne die ich schon längst nicht mehr auf diesem Planeten wandeln würde und die absolut zu mir steht, und die ich über alles liebe
  • Meine Geschwister Heros und Steffi
  • Omnitah Must, bzw. inzwischen Omnitah Schwark – Du hast mir so viel gegeben und mir gezeigt, was wirklich Toleranz und Akzeptanz ist. Du hast mich aus einem ewig tiefen Loch geholt und bist mir eine ganz, ganz liebe Freundin geworden.
  • Mein Ex-Mann Sven durch dessen Verhalten ich eigentlich nur gestärkt wurde
  • Romy, Vivian, Tabea, Damian, Rei, Petra, Angela, Tamara, Barbara, Lena, Tanja alias Kim… jede(r) Einzelne von Euch hat mit dazu beigetragen, das es mir gut ging und ich Halt gefunden hatte in schweren Zeiten.

DANKE!!!

*Kisses*
Christin

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