
Die neue S2k-Leitlinie zur Geschlechtsinkongruenz - Eine kritische Analyse
Am 10. März 2025 wurde nach sieben Jahren intensiver Entwicklung die S2k-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung" veröffentlicht. Diese medizinische Richtlinie ist ein wichtiger Meilenstein für Deutschland, Österreich und die Schweiz, da sie erstmals einen einheitlichen Behandlungsstandard für trans* Kinder und Jugendliche festlegt und eine veraltete Leitlinie von 1999 (aktualisiert 2013) ablöst.
Download der neuen S2k-Leitlinie hier: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/028-014
Was bedeutet Geschlechtsinkongruenz?
Bevor wir in die Details der Leitlinie einsteigen, lass mich kurz erklären, worum es überhaupt geht. Geschlechtsinkongruenz (GI) bezeichnet laut WHO eine Nicht-Übereinstimmung zwischen dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht und der erlebten Geschlechtsidentität. Dies wird - und das ist ein wichtiger Paradigmenwechsel - nicht mehr als psychische Störung betrachtet. Erst wenn daraus ein erheblicher Leidensdruck entsteht, spricht man von Geschlechtsdysphorie (GD), welche behandlungsbedürftig sein kann.
Stell dir vor, du wachst jeden Morgen auf und fühlst dich im eigenen Körper fremd, als würdest du in einer Hülle stecken, die nicht zu deinem inneren Erleben passt. Für viele trans* Personen ist genau das Realität - ein quälender Zustand, der zu schweren psychischen Belastungen führen kann, wenn keine Unterstützung erfolgt.
Hauptelement: Der gender-affirmative Ansatz
Die neue Leitlinie orientiert sich am „gender-affirmativen Ansatz". Das bedeutet, die geäußerte Geschlechtsidentität eines Kindes/Jugendlichen wird von Beginn an respektiert und unterstützt. Praktisch umfasst dies die Möglichkeit eines sozialen Rollenwechsels (Name, Pronomen, Kleidung) und bei Bedarf auch eine medizinische Behandlung zur körperlichen Angleichung.
Zentral ist der individuelle Ansatz: Die Leitlinie fordert eine „sorgfältige am Einzelfall orientierte medizinische Begleitung" unter Berücksichtigung der Selbstbestimmung und der allmählich reifenden Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger. Das bedeutet, jede Maßnahme – von Pubertätsblockern bis zu Operationen – wird individuell und interdisziplinär geprüft und begleitet. Es gibt keinen Automatismus, sondern vor jedem weiteren Behandlungsschritt erfolgt eine neue Indikationsprüfung.
Die medizinischen Empfehlungen im Detail
Psychosoziale Beratung und Begleittherapie
Die Leitlinie empfiehlt diskriminierungssensible psychologische Unterstützung für die jungen Patient*innen und ihre Familien. Wichtig ist: Diese psychotherapeutische Begleitung darf nicht darauf abzielen, die Geschlechtsidentität zu ändern – sogenannte Konversionstherapien werden explizit abgelehnt. Stattdessen soll Therapie der Erforschung und Stärkung der Identität, dem Umgang mit möglichen anderen Problemen (z.B. Depressionen, Autismus) und der Vorbereitung auf eventuelle medizinische Schritte dienen.
Für trans* Jugendliche bedeutet das: Die Therapeut*innen sind nicht da, um dich zu "heilen" oder zu "normalisieren", sondern um dich auf deinem eigenen Weg zu unterstützen und zu begleiten.
Pubertätsblocker
Pubertätsblocker (GnRH-Analoga) sind Medikamente, die das Fortschreiten der Pubertät vorübergehend anhalten. Sie können verhindern, dass unerwünschte körperliche Veränderungen (wie Brustentwicklung oder Stimmbruch) voranschreiten und verschaffen Zeit, damit Jugendliche ihre Geschlechtsidentität in Ruhe erkunden können.
Die Leitlinie macht klare Vorgaben, wann Pubertätsblocker indiziert sind:
- Die Pubertät muss bereits eingesetzt haben (mindestens Tanner-Stadium II)
- Der*die Minderjährige muss einen ausdrücklichen Wunsch nach Pubertätsblockade haben
- Es muss ein erheblicher Leidensdruck (Geschlechtsdysphorie) vorliegen
Das Timing ist entscheidend: "nicht zu früh, aber auch nicht zu spät" mit Blockern beginnen. Nicht vor Pubertätsbeginn, aber idealerweise bevor irreversibel z.B. die Stimme tiefer oder das Becken breiter wird. Stell dir vor, wie belastend es für ein transweibliches Mädchen sein kann, wenn sie einen durch Testosteron verursachten Stimmbruch erleben muss – die tiefe Stimme würde sie ein Leben lang „outen" und zu Stigmatisierung führen.
Die Leitlinie sieht Pubertätsblocker als sinnvolle "Stopp-Taste", allerdings mit Zurückhaltung und unter strengen Indikationen. Es wird empfohlen, Blocker so kurz wie möglich zu geben, da der Körper die eigenen Sexualhormone für die Knochendichte und vermutlich auch für Aspekte der Hirnentwicklung braucht. Während der Blockade muss eine engmaschige Begleitung erfolgen, und Ärzt*innen müssen ausführlich über Chancen und Risiken aufklären.
Die bekannten Nebenwirkungen von Blockern umfassen die Abnahme der Knochendichte während der Blocker-Phase sowie eine vorübergehende Verlangsamung des Längenwachstums. Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob sich die Knochendichte nach anschließender Hormonbehandlung wieder komplett normalisiert.
Bemerkenswert: Deutschland geht hier einen anderen Weg als Schweden, Finnland oder Großbritannien, wo Pubertätsblocker stark eingeschränkt wurden. Die deutsche Leitlinie hat sich bewusst dagegen entschieden, Blocker pauschal zu verbieten, was für trans* Jugendliche in Deutschland eine große Erleichterung darstellt.
Hormonersatztherapie
Unter Hormonersatztherapie (HRT) versteht man die Gabe von Geschlechtshormonen, um die körperliche Entwicklung in Richtung der empfundenen Geschlechtsidentität zu lenken. Transmännliche Jugendliche erhalten Testosteron, transweibliche Jugendliche erhalten Östrogen plus ggf. Anti-Androgene.
Die Leitlinie empfiehlt eine geschlechtsangleichende Hormontherapie in jenen Fällen, in denen die Geschlechtsinkongruenz persistiert und der Wunsch nach körperlicher Angleichung stabil vorhanden ist – in der Regel bei Jugendlichen im mittleren bis späten Teenageralter. Ein genaues Mindestalter wird nicht starr festgelegt, sondern es wird auf die individuelle Reife und Situation abgestellt.
Vor jeder neuen Maßnahme muss eine erneute interdisziplinäre Indikationsstellung erfolgen. Die Leitlinie stellt fest, dass die wissenschaftliche Evidenzlage für den Nutzen von Pubertätsblockern schwach ist, allerdings "etwas mehr Evidenz" für den Nutzen der geschlechtsangleichenden Hormone existiert. Tatsächlich zeigen mehrere Studien, dass eine HRT bei Jugendlichen, die unter ausgeprägter Geschlechtsdysphorie leiden, oft deutliche Verbesserungen der psychischen Gesundheit bewirkt.
Die Leitlinie legt großen Wert darauf, Jugendliche und Eltern umfassend über die Folgen einer Hormontherapie zu informieren, insbesondere bezüglich der Fruchtbarkeit. Sowohl Testosteron als auch Östrogen können die Fertilität beeinträchtigen, und viele dieser Wirkungen können irreversibel sein. Daher muss frühzeitig über Möglichkeiten der Fertilitätsprotektion gesprochen werden.
Geschlechtsangleichende Operationen
Geschlechtsangleichende Operationen bei Minderjährigen sind ein besonders sensibles Thema. Die Leitlinie bestätigt den internationalen Konsens: Operative Maßnahmen an den inneren und äußeren Geschlechtsorganen sollen in der Regel erst im Erwachsenenalter durchgeführt werden.
Bei Brustoperationen bei trans* männlichen Jugendlichen gibt es einen Graubereich – einige internationale Protokolle lassen eine Mastektomie in Ausnahmefällen bereits mit 16-17 Jahren zu, wenn der Leidensdruck durch die Brustentwicklung sehr hoch ist und der Jugendliche seit Jahren als Junge lebt. Die S2k-Leitlinie dürfte auch hier nur vorsichtige Empfehlungen aussprechen.
Ethische und soziale Aspekte
Neben den medizinischen Details enthält die Leitlinie ausführliche Kapitel zu Ethik und diskriminierungssensiblem Umgang. Ein zentrales ethisches Prinzip ist die Selbstbestimmung Minderjähriger im Rahmen ihrer zunehmenden Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Die Medizinethikerin Prof. Claudia Wiesemann betont, dass das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper nicht erst mit 18 Jahren beginnt, sondern auch Kinder und Jugendliche in dem Maß einbezieht, wie sie reif genug sind, gute Entscheidungen für sich zu treffen.
Die Leitlinie verwirft ausdrücklich jegliche "Reparations"-Therapie, die darauf abzielt, dem jungen Menschen die eigene Transidentität auszureden oder diese als Symptom einer anderen Störung umzudeuten. Stattdessen werden Offenheit und Unterstützung gefordert: Der*die Jugendliche soll sich angstfrei mit der eigenen Identität auseinandersetzen können, ohne Druck in die eine oder andere Richtung.
Soziale Auswirkungen hat die Leitlinie vor allem im Sinne einer Verbesserung von Akzeptanz und Kompetenz. Sie will dazu beitragen, dass trans* Kinder und Jugendliche gesellschaftlich anerkannt und medizinisch begleitet werden können, ohne dass sie als psychisch krank stigmatisiert werden. Allein die Existenz einer offiziellen Leitlinie sendet ein Signal an Schulen, Familien und die Öffentlichkeit, dass Transidentität bei Minderjährigen ein ernstzunehmendes, legitimes Thema ist – weder "Modeerscheinung" noch "Laune".
Kontroversen und Debatten
Trotz des breiten Konsenses gab es von Anfang an kontroverse Diskussionen um einzelne Inhalte der Leitlinie. Insbesondere zwei Kinder- und Jugendpsychiater, Dr. Alexander Korte und Prof. Dr. Florian Zepf, stellten sich öffentlich gegen den ihrer Ansicht nach zu affirmativen Kurs. Sie argumentieren, die wissenschaftliche Evidenz für weitreichende medizinische Eingriffe bei Jugendlichen sei unzureichend.
Ein bemerkenswertes Detail: Die DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde) – eine der größten Fachgesellschaften mit rund 3000 Mitgliedern – hat der Leitlinie zwar zugestimmt, jedoch die Präambel in scharfer Form kritisiert und ein Sondervotum abgegeben.
Hauptstreitpunkt ist der "affirmative Ansatz" selbst. Kritiker*innen sagen: Die Leitlinie habe sich von Anfang an einer Trans-affirmativen Ideologie verschrieben und alternative Sichtweisen ausgeblendet. Befürworter entgegnen: Die Leitlinie schließt andere Faktoren keineswegs aus – sie fordert ja ausdrücklich eine sorgfältige Differentialdiagnostik und Begleitung.
Kein Thema wurde so erbittert diskutiert wie die Frage des Einsatzes von Pubertätsblockern. Auf der einen Seite sehen trans* Jugendliche, ihre Eltern und viele Therapeut*innen die Blocker als segensreiche Möglichkeit, enormen Leidensdruck zu nehmen und irreversible Schäden abzuwenden. Auf der anderen Seite warnen Kritiker vor möglichen gesundheitlichen Schäden und Fehlentscheidungen, verweisen auf die ungeklärte Langzeitsicherheit und darauf, dass Jugendliche unter 16 die Tragweite vielleicht nicht ermessen könnten.
Auch der 128. Deutsche Ärztetag stellte sich mit seiner Forderung nach einer gesetzlichen Einschränkung der Blocker klar auf die Seite dieser Skepsis und forderte, Pubertätsblocker nur im Rahmen von Studien zu erlauben. Die dgti e.V. verurteilt diese Beschlüsse scharf als Angriff auf die Selbstbestimmung junger trans* Menschen und Verstoß gegen Grundrechte und internationale Abkommen.
Die Perspektive trans* Betroffener: Endlich Abbau unnötiger Hürden?
Für trans* Jugendliche, die auf medizinische Unterstützung angewiesen sind, bedeutet die neue Leitlinie potenziell eine Erleichterung. Bisher berichteten viele Betroffene von unnötigen Hürden: etwa sehr langen Wartezeiten auf Fachgutachten, unsensible Behandlung durch ungeschulte Therapeut*innen, oder Ablehnung von Hilfen mit Verweis auf "fehlende Richtlinien".
Diese Situation wurde von Prof. Wiesemann drastisch beschrieben: "Im Moment ist teils desaströs, was die Lage der Betroffenen ist. Sie müssen lange suchen, bis sie professionelle Ansprechpartner finden. Sie geraten nicht selten an wenig ausgebildete Personen, die selbst nicht wissen, an wen sie stattdessen weiterverweisen könnten. Diese unprofessionelle Behandlung ist ein großes Ärgernis, ein echtes Defizit in der medizinischen Versorgung."
Aus trans* Perspektive ist besonders positiv, dass die Leitlinie die Selbstbestimmung der Jugendlichen stärkt und die bisherige Pathologisierung weiter abbaut. Viele Trans-Personen erinnern sich, wie sie früher erst eine "Diagnose" F64.0 (Transsexualität) erhalten mussten, die implizierte, sie hätten eine psychische Störung. Dies fällt nun weg – Geschlechtsinkongruenz als Begriff entlastet psychisch.
Trans* Jugendliche erleben oft, dass ihre Identität in Frage gestellt wird ("bist du dir sicher?", "ist es nur eine Phase?"). Die Leitlinie legitimiert ihr Erleben, indem sie klarstellt, dass Transidentität bei Jugendlichen real vorkommt und Ernst genommen werden muss. Die Leitlinie betont auch die Bedeutung von sozialer Unterstützung: Familie und Umfeld sollen die Jugendlichen akzeptierend begleiten, da dies der psychischen Gesundheit enorm zuträglich ist.
Ein häufig genanntes Problem war die sehr unterschiedliche Praxis je nach Region. Manche Endokrinolog*innen verschrieben Blocker nur nach x Gutachten, andere schon nach kurzem Clearing. Einige Psychiater bestanden auf mehrjährigen Psychotherapien vor irgendeiner somatischen Maßnahme, andere setzten früher an. Dies führte zu Ungerechtigkeiten und auch zu einem "Therapie-Tourismus", wo Familien ins Ausland gingen oder in eine andere Stadt zogen, um adäquate Hilfe zu erhalten. Die Leitlinie schafft hier Vereinheitlichung: Alle sollen sich an denselben Kriterien orientieren.
Nicht zuletzt bietet die Leitlinie trans* Jugendlichen auch Rückendeckung gegenüber Krankenkassen. Bisher kam es vor, dass Kassen Leistungen mit dem Argument ablehnten, es gebe keine klare Evidenz oder Leitlinie dazu. Jetzt können Ärzt*innen und Jugendliche auf die S2k-Leitlinie verweisen, wenn es um Kostenübernahmen geht.
Eine wertende Einordnung
Die S2k-Leitlinie zu Geschlechtsinkongruenz bei Kindern und Jugendlichen markiert einen wichtigen Meilenstein in der Gesundheitsversorgung trans* junger Menschen im deutschsprachigen Raum. Medizinisch bringt sie die Leitlinienlandschaft auf den neuesten Stand: Transidentität im Jugendalter wird nicht mehr als psychische Störung betrachtet, sondern als Variante, die unter Umständen medizinische Maßnahmen zur Leidensminderung erfordert.
Es ist höchste Zeit, dass trans* Jugendliche in Deutschland, Österreich und der Schweiz Zugang zu einer standardisierten, respektvollen und evidenzbasierten Versorgung erhalten. Diese Leitlinie stellt einen wichtigen Schritt in diese Richtung dar.
Besonders wertvoll sind die psychosozialen und ethischen Komponenten der Leitlinie. Die Anerkennung, dass trans* Jugendliche nicht "geheilt" werden müssen, sondern Unterstützung beim Leben ihrer authentischen Identität benötigen, ist von unschätzbarem Wert. Auch die Betonung der Selbstbestimmungsrechte Minderjähriger ist ein wichtiger Fortschritt, der dem aktuellen ethischen und rechtlichen Verständnis entspricht.
Gleichzeitig geht die Leitlinie verantwortungsvoll mit medizinischen Interventionen um. Sie fordert sorgfältige Diagnostik, Aufklärung und Einbeziehung der Familie, ohne dabei unnötige Hürden zu errichten. Die wichtige Rolle der Pubertätsblocker wird anerkannt - ein lebensrettender medizinischer Eingriff, der vielen trans* Jugendlichen den Weg in ein authentisches Leben ermöglicht.
Aus der Perspektive eines trans* Menschen, der unter Geschlechtsdysphorie leidet, sind die Empfehlungen der Leitlinie insgesamt begrüßenswert. Dennoch gibt es Punkte, die kritisch zu sehen sind:
- Die Kritik an Pubertätsblockern ist oft unverhältnismäßig: Während die Leitlinie hier einen sinnvollen Mittelweg geht, zeigt die Debatte um Blocker, wie stark ideologische Vorbehalte die medizinische Versorgung trans* Jugendlicher behindern können. Für ein trans* Mädchen, das verzweifelt zusehen muss, wie ihr Körper sich in eine unerwünschte Richtung entwickelt, kann die Verzögerung oder Verweigerung von Blockern traumatisierend sein. Die Forderung des Deutschen Ärztetages, Blocker nur im Rahmen von Studien zu erlauben, ist daher aus Betroffenensicht besonders schmerzhaft, da sie den Zugang zu dieser wichtigen Behandlungsoption unnötig erschweren würde.
- Wartezeiten bleiben ein Problem: Auch wenn die Leitlinie Standards setzt, bleibt abzuwarten, wie schnell und flächendeckend diese umgesetzt werden. Die von Mari Günther vom BVT* genannten Wartezeiten von 3-5 Monaten für ein Erstgespräch sind für einen Jugendlichen in akuter Dysphorie eine Ewigkeit. Jeder Tag des Wartens kann für trans* Jugendliche eine Qual sein, während ihr Körper sich weiter verändert.
- Die Psychotherapie als Gatekeeper: Obwohl die Leitlinie betont, dass Psychotherapie unterstützend und nicht blockierend wirken soll, bleibt abzuwarten, wie dies in der Praxis umgesetzt wird. Für viele trans* Personen ist die Erfahrung, dass ihre Identität von anderen "begutachtet" und "bestätigt" werden muss, demütigend und entmündigend.
Trotz dieser kritischen Punkte ist die neue Leitlinie insgesamt ein enormer Fortschritt. Sie zeigt, dass Deutschland einen eigenen, wissenschaftlich fundierten Weg geht und sich nicht von restriktiven Entwicklungen in anderen Ländern beeinflussen lässt. Für trans* Jugendliche und ihre Familien bietet sie endlich eine klare Orientierung und die Hoffnung auf bessere Versorgung.
Die Erleichterung, die viele trans* Jugendliche angesichts dieser Leitlinie empfinden, ist kaum zu überschätzen. Nach Jahren der Unsicherheit, des Wartens, der Angst vor einer falschen Pubertät und des Kampfes um Anerkennung gibt es nun ein offizielles Dokument, das ihre Existenz und ihre Bedürfnisse anerkennt und schützt.
Das Kernversprechen der Leitlinie lässt sich so zusammenfassen: Trans* Jugendliche verdienen unsere Unterstützung, nicht neue Hürden. Möge dieses Prinzip in der praktischen Umsetzung Wirklichkeit werden und dazu beitragen, das Leid vieler junger Menschen zu lindern und ihnen ein authentisches und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
Wenn wir als Gesellschaft den Mut haben, Kindern und Jugendlichen zuzuhören, wenn sie von ihrer inneren Wahrheit sprechen, und ihnen mit angemessener medizinischer und psychologischer Unterstützung zur Seite stehen, können wir ihnen traumatische Erfahrungen ersparen und ihnen helfen, zu selbstbewussten, gesunden Erwachsenen heranzuwachsen. Die neue Leitlinie ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg - trotz aller verbleibenden Herausforderungen.
Download der neuen S2k-Leitlinie hier: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/028-014
Comments
No Comments